Montag, 27. Oktober 2008

Vom Industrieflaggschiff zum Scherbenhaufen


Im Jahre 2000 hatte Blocher die ehemalige Attisholz für 570 Mio. Franken erworben. Dieser Preis setzte sich im Wesentlichen zusammen aus einer Liquiditätsreserve von 400 Mio. und 170 Mio. für Anlagen und Immoblien. Zwei Jahre später verkaufte Blocher an die norwegische Borregaard und realisierte laut NZZ einen privaten Verlust von 10 bis 30 Mio. Franken, und zwar weil er die Axantis (Attisholz) zuvor aus der EMS-Chemie in sein Privatvermögen überführt hatte („den Ems-Aktionären sollte, so lautete die Absicht, aus dem Atisholz-Abenteuer kein Schaden erwachsen“). (Quelle:http://www.nzz.ch/nachrichten/wirtschaft/aktuell/article8dkut_1.421459.html?printview=true)
Wirtschaftlich hätte dieser Schachzug wenig Sinn gemacht, da in der Schweiz private Kapitalgewinne und –verluste nicht versteuert werden müssen. Es könnte daher in Wirklichkeit auch ganz anderes gewesen sein.
Nach Auskunft des ehemaligen Attisholz-Präsidenten Berg hat Borregard nur die Anlagen gekauft, nicht jedoch die Immobilien („Und Borregaard wollte die Immobilien beim Weiterverkauf nicht übernehmen. Ich denke, sie haben zwischen 100 und 120 Millionen Franken bezahlt.“) (Quelle:
http://bernerzeitung.ch/wirtschaft/unternehmenkonjunktur/wirtschaft/unternehmen-und-konjunktur/Blocher-war-der-weisse-Ritter/story/15877175)
Damit stellt sich die Frage, wem diese Immobilien heute gehören. Und zu welchem Preis sie Blocher seinerzeit verkauft hatte. Der angebliche private Verlust Blochers könnte sich so nämlich in einen satten Gewinn verwandelt haben.
Nach Angabe von Herrn Berg war die Liquiditätsreserve von 400 Mio. Franken ursprünglich für Investitionen geplant: „Wir wollten dieses Geld, das aus dem Verkauf von Tela-Hakle stammte, in Atisholz investieren.“. Dazu kam es jedoch nicht, da gegen Ende der 90er Jahre Spekulanten Appetit auf Attisholz bekommen hatten. Dazu Berg: „Vielleicht waren wir zu naiv, es traten schnell Investoren auf den Plan, die vor allem auf diese flüssigen Mittel aus waren. Die Firma war anfällig für unfreundliche Übernahmeversuche“. „Im Rahmen eines Übernahmekampfes“ (NZZ) kam Attisholz im Jahre 2000 dann zur EMS-Chemie, angeblich zur Ergänzung der eigenen Produktepalette. Blocher liess sich als „weisser Ritter“ feieren, in Wirklichkeit aber wurden keine Investitionen mehr getätigt und Attisholz zerschlagen: „Bei näherer Prüfung stellte sich dann allerdings heraus, dass die Atisholz-Produkte vor einer allfälligen Lancierung am Markt noch einiger Anpassungen - und Investitionen – bedurften“ (NZZ). Genau zu diesen „einigen Anpassungen und Investitionen“ waren eigentlich die 400 Mio. Liquiditätsreserve geplant gewesen. Stattdessen lancierte Blocher laut NZZ ein „Kostensenkungsprogramm“. Im Klartext (nach Angaben von Herrn Berg): „Aber schon unter Blocher gab es Lohnkürzungen, worauf die guten Leute die Firma verliessen. Dieser Verlust von Kenntnissen und Erfahrung hat sich über Jahre fortgesetzt.“
Nachdem die Liquiditätsreserven und anscheinend auch die Immobilien weg waren, ging Attisholz zu Borregard. Die NZZ schrieb dazu im Jahre 2002: „Die Norweger werden als «Wunsch-Eigentümer» von Atisholz bezeichnet. Ihre Branchenführerschaft im Bereich der Chemie-Zellstoffe soll das Überleben des Unternehmens sicherstellen.“ Es ist, wie wir inzwischen wissen, anders gekommen. Dazu Herr Berg: „…auch ich halte Missmanagement für eine der Ursachen. Von Seiten des Personals ist dies oft zu hören. Die Leute wussten gar nicht mehr, wie ihre Chefs aussahen. Auch gegen aussen hat Borregaard nicht gut kommuniziert. Man kann komplexe Vorgänge nicht über Mail und Computer steuern.“ Ob es nur Unfähigkeit (Missmanagement) war, oder ob Borregaard von Anfang an nur die sog. „Melkstrategie“ verfolgt hat (anscheinend war Attisholz ein ehemaliger Mitbewerber), das ist nicht einfach zu beurteilen. Immerhin schrieb die NZZ im Jahre 2000: „Wie in einer Pressemitteilung betont wird, ist es für das Unternehmen wichtig, dass das auf dem Atisholz-Areal geplante Grosssägewerk und das ebenfalls projektierte Holzkraftwerk der AEK Energie AG realisiert werden; damit, so heisst es, liessen sich Atisholz' Bedingungen zur Rohstoffbeschaffung wesentlich verbessern.“ Bekanntlich hat Borregaard dieses Projekt verhindert, und zwar mit dem Vorwand, den Platz für eigene Investitionen zu benötigen. In Wirklichkeit jedoch, weil sie nichts mehr investieren wollten. Dazu Herr Berg: „Das Holzverarbeitungszentrum scheiterte nicht am Platzbedarf von Borregaard, sondern an ihrem Unwillen, in dieses Projekt zu investieren.“
Zusammenfassend hat sich in Riedholz das gleiche Drama abgespielt wie an vielen anderen ehemaligen Industriestandorten: Ein traditionsreiches Industrieunternehmen mit gesunder finanzieller Grundlage (400 Mio. Liquiditätsreserve) wird zum Spielball von Finanzspekulanten. In diesem Fall von einem als Wolf im Schafspelz geschickt getarnten „weissen Ritter“, der die Öffentlichkeit zu täuschen wusste, so wie er das auch auf politischer Ebene als selbsternannter Vaterlandsretter getan hat. Nach zwei Jahren war das ehemals kompakte und gesunde Unternehmen ausgeweidet: Die 400 Mio. Liquiditätsreserve in der Tasche von Blocher, die Anlagen bei Borregaard. Und die Grundstücke?
Nun hinterlässt Borregaard einen Scherbenhaufen. Der Betrieb wird als „unrentabel“ eingestuft, da ohne vorgängige Investitionen keine Profite mehr realisiert werden können. 570 Mio. Franken scheinen sich in Luft aufgelöst zu haben. Daher stellt sich die Frage nach der Bewertung des Unternehmens, und zwar im Jahre 2000 bei der Übernahme durch Blocher, im Jahre 2002 bei der Übernahme durch Borregaard und heute. Wo sind die während Generationen aufgehäuften Profite hingeflossen? Diese Frage drängt sich auf, zusammen mit den 23 Fragen im offenen Brief an Borregaard. Fragen, auf die es vermutlich keine Antworten geben wird, so dass man mit Bob Dylan singen könnte: „The answer, my friend, is blowin' in the wind.“
Was wird geschehen, wenn Borregaard keine oder nur ausweichende Antworten geben wird? Was geschehen sollte, ist längst klar. Das haben die Arbeiter in den Officine von Bellinzona und bei INNSE in Mailand vorgelebt. Die Frage ist vielmehr, ob die Kraft dazu vorhanden wäre oder genauer: Wozu wird die Kraft reichen? Was kann sinnvollerweise getan werden, um das Kräfteverhältnis zu Gunster der Arbeiter zu verschieben?

3 Kommentare:

  1. ist es wirklich eine frage der kraft? ist es eine frage des willens? sicher ist auf jeden fall, die politik versagt zunehmends. anstatt unterstützung und eine gewisse portion solidarität zu zeigen liest man auch heute wieder von der regierungsrätin, dass man bereit ist einzuschreiten, nur sollen zuerst die sozialpartner einen sozialplan ausarbeiten und wenn dann dieser nicht den vorstellungen und wünschen der belegschaft entspricht, ja dann bemüht man sich dannj(eventuell)! die officine hat es gezeigt, wenn die bevölkerung aber sicher vor allem die politik hinter der geschichte steht, dann kann man positives bewirken! nächstes jahr ist aber auch für die politik zahltag!

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  2. Ja, Wahltag ist Zahltag. Doch die WählerInnen sind vergesslich. Im Tessin waren im April kantonale Wahlen. Kein Wunder, sind im März während des Streiks alle PolitikerInnen in die „Pittureria“ der SBB-Werkstätten von Bellinzona gepilgert. Selbst Bürgerliche haben mit erhobener Faust „Giù le mani dalle Officine!“ gerufen. So sind sie halt, die PolitikerInnen. Nun sind die Wahlen vorbei, und die mit 15 000 Unterschriften eingereichte Volksinitiative zur Schaffung eines industriellen Technologieparks liegt in den Schubladen der Tessiner Regierung. Dort wird sie vermutlich auch bleiben, bis wieder Tausende auf die Strasse gehen. Denn die Politik bewegt sich erst, nachdem sich das Volk bewegt hat.

    Wo liegt der Unterschied zwischen dem Tessin und Solothurn? Nicht in erster Linie beim Temperament, weil es dort viel Sonne hat und hier Nebel. Auch wenn es für Aussenstehende so aussehen mochte, Streik und Betriebsbesetzung sind am 7. März nicht einfach spontan erfolgt. Das Betriebskomitee „Giù le mani dalle Officine di Bellinzona“ hat während zehn Jahren Aufbauarbeit geleistet und so das Vertrauen der andern Arbeiter gewonnen. Denn hier liegt das „Erfolgsgeheimnis“ der Officine-Arbeiter und ihres Streikkomitees: Es gibt keine Geheimdiplomatie in den Verhandlungen mit der Gegenseite, alles ist öffentlich, jedes einzelne Verhandlungsresultat wird, bevor es angenommen wird, der Arbeiterversammlung unterbreitet, ebenso jeder Brief an die SBB-Direktion oder an den Mediator – übrigens auch heute noch. Denn der Kampf um die Officine geht weiter, auch wenn die Zeitungen nicht mehr darüber berichten.

    Die Zeitungen schreiben ohnehin nur über spektakuläre Aktionen, wie gestern: „Mitarbeiter stürmen Medienkonferenz“. Bis jetzt sieht alles eher nach einem ohnmächtigen Protest aus. Wie bereits bei der Petitionsübergabe, als sie von der Direktion nicht einmal empfangen wurden und dann kurzerhand das Gebäude „gestürmt“ haben. Warum ist es dabei geblieben? Warum konnte bisher nicht mehr Druck aufgebaut werden? Vom Betrieb aus und in der Öffentlichkeit. Ich kenne etliche GewerkschafterInnen aus allen Landesteilen, die bei allfälligen Aktionen mithelfen würden. Falls MitarbeiterInnen von Borregaard diese Zeilen lesen, so sollen sie wissen, dass es überall KollegInnen hat, die auf ihrer Seite stehen und ihre Solidarität zeigen werden, alsbald sich dazu Gelegenheit bieten sollte.

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  3. Ich verfolge die Auseinandersetzung zwischen Belegschaft/Gewerkschaften und der Direktion aus nächster Nähe. Was sich die Geschäftsleitung und der Verwaltungsrat von Borregaard erlauben ist einfach gesagt eine Frechheit! Sie nehmen die Belegschaft nicht ernst, versuchen sie zu spalten und wollen sich auf eine billige Art aus dem Staub machen. Dabei spielen der "Statthalter" Meili und die "Hofdame" Stöckli eine erbärmliche Rolle! Das dürfen wir nicht zulassen. Bleiben wir vereint - denn eines müssen sich die Damen und Herren der Teppichetage hinter ihre Ohren schreiben "ATTISHOLZ SIND WIR!" ...und wie sagte ein Gewerkschafter unlängst an der Betriebsversammlung: "Wer kämpft, kann verlieren - wer nicht kämpft, hat bereits verloren!"

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