Montag, 3. November 2008

Die Belegschaft erkämpft einen wegweisenden Sozialplan


Der Kampf hat sich gelohnt: Mit Unterstützung der Gewerkschaften hat die Belegschaft des Zellulose-Werkes Riedholz einen exemplarischen Sozialplan erkämpft. Die Unia konzentriert sich nun zusammen mit den beteiligten Arbeitnehmenden auf die Realisierung von drei Alternativprojekten, welche 80 Arbeitsplätze sichern können.
Nach einem über 22-stündigen Verhandlungsmarathon haben sich die Verhandlungsgemeinschaft Borregaard-Attisholz und das Borregaard-Management auf einen Sozialplan für die Beschäftigten der von der Schliessung bedrohten Zellulosefabrik in Riedholz geeinigt. Heute nun hat die Belegschaft das Verhandlungsergebnis in einer Betriebsversammlung angenommen. Der Entscheid war unbestritten, denn der Sozialplan setzt Massstäbe weit über den Fall «Borregaard-Attisholz» hinaus.



Das sind die wichtigsten Punkte:



  • Der Sozialplan gilt für alle Beschäftigten (mit Ausnahme des Managements), auch für jene, welche eine neue Stelle finden.

  • Der Sozialplan gilt bis 31.12.2011. Mit dieser überdurchschnittlich langen Laufdauer kann er langfristig Sozial- und Härtefälle (Aussteuerung nach Langzeitarbeitslosigkeit etc.) vermeiden.

  • Die Abgangsentschädigungen für die Beschäftigten sind sehr gut und erreichen bis zu 50'000 Franken. Sie erfolgen nach einem transparenten Schlüssel, der das Alter und die Dienstjahre berücksichtigt: So erhält beispielsweise ein 58jähriger Arbeitnehmer mit 18 Dienstjahren 40'200.- Franken, ein 44jähriger mit 12 Dienstjahren erhält 20'000 Franken und selbst ein 24jähriger mit 3 Dienstjahren erhält noch 7'650 Franken.

  • Dazu werden pro kinderzulagenpflichtiges Kind 2000 Franken ausbezahlt.

  • Zudem kommen über 40 Mitarbeitende des Jahrganges 1949 (Frauen: 1950) oder älter in den Genuss einer sehr guten Frühpensionierungslösung: Sie erhalten 70% des letzten Bruttomonatslohns x 13, mindestens jedoch 55'000 Franken pro Jahr netto. Zudem werden die BVG- und AHV Prämien bis zur ordentlichen Pensionierung zur Hälfte von Borregaard bezahlt.

  • Das Unternehmen dotiert eine Transferorganisation mit 500’000 Franken, welche die Beschäftigten bei der Stellensuche unterstützt. Die Unia erarbeitet hierzu ein Reglement.

  • Juristisch ist der Borregaard-Konzern für die Realisierung des Sozialplans verantwortlich. Die Umsetzung wird aber von einer Paritätischen Kommission organisiert, in der die Unia bei allen Entscheiden über eine Sperrminorität verfügt.

Kampfbereitschaft entscheidend
Entscheidend für den Erfolg der Arbeitnehmervertretung war zweifellos die Kampfbereitschaft der Belegschaft, welche 150 Beschäftigte am vergangenen Montag mit einer Spontandemonstration in Solothurn eindrücklich unter Beweis gestellt hatten. Wichtig war auch die Geschlossenheit der verschiedenen Arbeitnehmervertretungen, welche sich nicht auseinander dividieren liessen und der Unia die Verhandlungsführung anvertrauten.
Die Unia wird sich nun zusammen mit den beteiligten Beschäftigten auf die Umsetzung der drei bereits weit fortgeschrittenen Teilprojekte «Hefe Süd», «Elektrolyse» und «Ethanol» konzentrieren. Diese Projekte können am Standort Riedholz langfristig 80 Arbeitsplätze sichern. Zudem führt die Unia die Klage gegen Borregaard wegen Nichtgewährung der Konsultationsfirst fort, aus welcher für die Beschäftigten zusätzliche finanzielle Ansprüche in der Höhe von ein bis zwei Monatslöhnen entstehen können.


>>hier kann der Sozialplan heruntergeladen werden


>>weitere Informationen zur Gewerkschaft Unia

1 Kommentar:

  1. Ein guter Sozialplan ist besser als ein schlechter oder gar kein Sozialplan. Daran besteht kein Zweifel. Dennoch halte ich es für verfehlt, den Sozialplan bei Borregaard als grossen Sieg zu feiern. Eine geschlossene Fabrik, das sind für immer verlorene Arbeitsplätze. Es ist leider nicht gelungen, mit vereinten Kräften – wie in Bellinzona - diesen Kahlschlag zu verhindern. Da gibt es nichts zu beschönigen, wo auch immer die Gründe dafür liegen.

    Der Sozialplan versüsst die bittere Pille – mehr nicht. Nun beginnt für jeden Einzelnen das Spiessrutenlaufen: Bewerbungen schreiben, Absagen empfangen, Vorstellungsgespräche… Demütigungen, weil dich keiner mehr will. Es wird wieder jedem bewusst, was es heisst, Lohnabhängiger zu sein: abhängig davon zu sein, eine Anstellung zu finden, um wirtschaftlich zu überleben. Sonst droht der soziale Abstieg. Jeder für sich allein. Ein gemeinsamer Widerstand ist nicht mehr möglich. Der hätte vorher stattfinden müssen. Doch dafür ist es jetzt zu spät.

    Was bleibt, ist die bittere Erkenntnis, dass eine Gewerkschaft, die sich nur darauf versteht, mit den Totengräbern der Industrie gute Sozialpläne auszuhandeln, zum „Sterbebegleiter“ wird, zum „Seelsorger“, der den Betroffenen Trost spendet, zum Verwalter von Entlassungen, Arbeitslosigkeit und Elend. Noch selten sind die unterschiedlichen gewerkschaftlichen Strategien so offensichtlich gewesen wie in diesem Jahr: SBB-Werkstätten in Bellinzona und Borregaard in Riedholz. In Bellinzona hat der solidarische Kampf die Schliessung erfolgreich verhindert. Bei Borregaard ist die gleiche Gewerkschaft, deren Mitglied ich bin, auffallend schnell in jenes Fahrwasser eingeschwenkt, in dem sie seit Jahrzehnten zu Hause ist: Sozialplanverhandlungen. Auf diese Weise sind in den letzten dreissig Jahren Hunderttausende von Industriearbeitsplätzen sang und klanglos verschwunden.

    Es ist Zeit, die Lehren daraus zu ziehen. Sein oder Nichtsein, Officine oder Borregaard, das ist die Frage! Denn die nächste Betriebsschliessung wird nicht lange auf sich warten lassen.

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